Zum 50. Todestag Gertrud von le Forts: „Maria steht für Ihre Töchter…“
In der Nacht von 31. Oktober auf 1. November jährt sich der Todestag der Dichterin Gertrud von le Fort (1876- 1971) zum 50. Mal. Ihr Heimgang zwischen dem Reformationstag und dem katholischen Fest Allerheiligen fällt zeichenhaft zusammen mit der großen geistlichen Bewegung ihres Lebens: 1926, zwei Jahre nach Erscheinung ihrer „Hymnen an die Kirche“, wurde die preußische Baronesse in die katholische Kirche aufgenommen. „Ich weiß kein anderes Beispiel von einer so strahlenden Erweckung und so tiefen Befruchtung des Talents durch die religiöse Bekehrung“, so beschreibt kein Geringerer als der große Suchende Hermann Hesse le Forts „Effata“ als Schriftstellerin, das sie in den Jahren ihrer Annäherung an die katholische Kirche erlebte. Immer aber gab le Fort ihrer Konversion eine versöhnliche Deutung: „Der Konvertit stellt die lebendige Vereinigung der getrennten Liebe dar, er ist gleichsam die Brücke, die zwei Ufer berührt und verbindet.“ Entsprechend dieses innigen und innerlichen Zugangs ergibt sich eine ökumenische Dimension als Frucht der Vertiefung im Glauben und der Liebe: „Glaube mir: je mehr man sich nach der einen Seite hin wirklich vertieft, umso mehr nähert man sich auch der andern – die Dinge rücken an einem bestimmten Punkt wieder zusammen, und in den Stunden, in denen das Wesen ganz rein vor uns steht, versinkt die Form.“
Besonders liebenswert vor dem Hintergrund ihres geistlichen Weges ist die zarte marianische Spur in le Forts Werk: Allen voran die große, mehrfach vertonte und vielzitierte „Litanei zur Regina Pacis“, die Anrufungen aus „moderner Not“ mit traditioneller Form verbindet. Nach der – vom Trauma des Ersten Weltkrieges gezeichneten – Diagnose „Denn der Friede der Erde ist todkrank“ wird Maria als große Fürbitterin eingeführt: „Hilf ihm, süße Jungfrau Maria, hilf uns sprechen:/ Friede sei dem Frieden unserer armen Welt.“ Historisches, Schicksale und Natur werden aufgerufen, in Eindringlichkeit der Jungfrau ans Herz gelegt: „Du milder Mond in den wilden Nächten der Völker/Wir begehren den Frieden“. Machtvolle Bilder, die bis heute nichts an Gültigkeit eingebüßt haben: „Du Feindin der Herzlosen/, Du klarer Stern in allen Wolken der Verwirrung,/ Wir bitten dich um den Frieden“
„Maria steht für ihre Töchter, aber ihre Töchter stehen für sie.“ Dieser Satz steht ganz am Ende des Essais „Die ewige Frau“. 1934, auch angesichts des einseitigen Frauenbildes des aufkommenden Nationalsozialismus, reflektierte die damals schon sehr bekannte Dichterin die Bedeutung der Frau „von ihrer symbolhaften Stellung her“, wollte ihr „kosmisch-metaphysisches Antlitz“ betrachten. War diese Perspektive gegenüber dem üblichen begrifflich-abstrakten Denken schon damals schwer zugänglich, so ist sie dies heute, nach all den Brüchen, die in den Jahrzehnten seit Entstehung des Textes auch in geistesgeschichtlicher Hinsicht vollzogen wurden, sicher noch mehr. Dennoch lohnte sich ein neues Einlassen auf „Die ewige Frau“ – gerade heute.
„Maria steht für ihre Töchter, aber ihre Töchter stehen für sie.“ – Le Fort stellt ein starkes Band zwischen den Frauen, die für sie ihrem tiefsten Wesen nach „Töchter Mariens“ sind, und der Muttergottes her: ein Verhältnis von Mutter und Tochter, und zugleich eine gegenseitige Repräsentation, eine Stellvertretung. Mehr noch: eine Präsenz der einen in der anderen. Maria, die Eine, die ganz so ist, wie Gott den Menschen gedacht hat, ist für die Dichterin Trost und Licht auf jede Frau hin.
Auch als wirklicher Gestalt begegnen wir der Muttergottes bei Gertrud von le Fort einmal, als Protagonisten in der – erst posthum veröffentlichten – reizenden venezianischen Legende, „Unsere liebe Frau vom Karneval“: Als die fromme Rosabella ihren Bräutigam während des Karnevals zufällig trifft, klagt sie, dass Pompeo sich um sämtliche schönen Frauen Venedigs bemühe, in keinster Weise aber der „Schönsten aller Frauen“, gedenke, die in der Kirche Santa Maria dei Miracoli wohne. Ungehalten darüber erklärt Pompeo, sofern besagte Dame zum Tanzen in sein Palais käme, würde er sich schon um sie kümmern. Entsetzt über diese Lästerung, wendet sich Rosabella an Maria – und das Wunder geschieht: die Muttergottes verlässt ihre Kapelle und erscheint auf Pompeos Ball!
„Maria steht für ihre Töchter, aber ihre Töchter stehen für sie“ – in den meisten Erzählungen und Romanen le Forts stehen Frauenschicksale im Mittelpunkt, und oft treffen wir Frauen mit einem marianischen Herzen: die „Mater misericordiae“ blickt uns in der schwangeren Anna Elisabeth („Die Verfemte“) an, die den jungen Landesfeind nicht dem Tod ausliefert, sondern ihn rettet, sie tritt uns in Gestalt der Anne de Vitré in „Das Gericht des Meeres“ entgegen, die sich weigert, das Kind des Feindes mit einem magischem Lied in den Tod zu singen, und sie begegnet uns sogar in der kleinen Pastorenfrau („Die Magdeburgische Hochzeit“), die nach dem Sturm auf Magdeburg eine Begegnung mit dem Feldherrn Tilly hat. Wie le Fort durch das Fehlen seiner Leibstandarte, die aus einem Bild der Muttergottes besteht, symbolisiert, ist der fromme Tilly durch den tödlichen Angriff auf die Stadt innerlich schwer verwundet. Durch ihre bedeutungsvolle Bitte „Herr, gedenkt jetzt Eurer Mutter!“ berührt Frau Bake die Wunde des alten Junggesellen Tilly: Die junge Pastorenfrau führt den Katholiken Tilly durch ihre Bitte zur Muttergottes, der einen und einzigen Frau an seiner Seite, zurück: „Die Exzellenz blickte von ihrem Pferd herab starr auf das kleine, abgezehrte, mädchenhafte Gesicht nieder. Plötzlich stürzten ihr die Tränen hervor, als zerbräche hinter ihren alten, einsamen Augen ein hartes Gestein – die eisgraue Exzellenz Tilly weinte wie dort in den Armen der Frau das kleine, hilflose Kind – sie konnte nichts mehr hervorbringen als: ‚Man reiche Brot an alle!‘ Dann, ohne noch einen Blick auf Bake zu werfen, wandte die Exzellenz das Pferd. Und nun – das war ja zu wunderlich – sah die Katholische Exzellenz auf einmal wieder aus, als ob sie ihre Fahne bei sich habe.“ Ganz unmittelbar und zugleich sehr fein verwebt le Fort auch in ihrem großen Roman über den 30jährigen Krieg das wiederkehrende marianische Motiv ihrer erzählten Welt: „Maria steht für ihre Töchter, aber ihre Töchter stehen für sie“.
Gudrun Trausmuth, Wien